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Die Suche nach dem Haar im Schwimmbecken: Das Signal veränderter fossiler Emissionen in der Atmosphäre

27.04.2020

Wird CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, wird es vom Wind durchmischt und verteilt sich, im Laufe der Zeit, über den ganzen Globus. Für die nördliche oder südliche Hemisphäre dauert dieser Vermischungsprozess ein bis zwei Monate. Für den Globus dauert er sogar ein ganzes Jahr, da sich die nördliche und südliche Hemisphäre nur langsam vermischen. Die Atmosphäre enthält bereits viel CO2, Pflanzen brauchen es beispielsweise um wachsen zu können. In vielen verschiedenen natürlichen Prozessen wird CO2 aufgenommen und wieder abgegeben – deshalb verändert sich seine Konzentration in Raum und Zeit.

Von Werner Kutsch, Alex Vermeulen und Ute Karstens

Wie die Emissionen fossiler Brennstoffe das CO2-Signal der Atmosphäre beeinflussen, lässt sich am besten durch ein einfaches Modell erklären: Nehmen wir an, wir haben einen Swimmingpool. Das Wasser im Pool steht für das Kohlendioxid in der Atmosphäre und der Wasserspiegel repräsentiert den CO2-Gehalt der Atmosphäre. Regen, der in den Pool fällt, steht für die natürlichen CO2-Emissionen, die Verdunstung von Wasser aus dem Pool steht für die Aufnahme von CO2 durch Pflanzen, und ein Leck im Boden des Pools für die CO2-Aufnahme durch die Ozeane. Weiterhin werden die CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen mit einem zusätzlichen Wasserhahn dargestellt, welcher den Pool mit Wasser füllt.

Die Auswirkungen der globalen Ausgangssperre sind fast unmöglich zu erkennen


Wenn ein Peta-Gramm (=1015 g = 1.000.000.000.000.000 g) Kohlenstoff in der Atmosphäre in 1 m3 Wasser umgesetzt wird, sprechen wir von einem 25 x 15 m großen Becken mit einer Wassertiefe von 1,57 m. In den Pool fließt ein natürlicher Regenstrom. Dieser bringt jedes Jahr etwa 110 m3 frisches Wasser in den Pool. Jedoch verdunstet etwa die gleiche Menge oder fließt durch den undichten Boden wieder heraus. Trotz jahreszeitlicher Schwankungen bei Verdunstung und Niederschlag, ist der Grundwasserspiegel im Durchschnitt stabil. Zu- und Abfluss sind jedoch nicht absolut phasengleich, was bedeutet, dass der Wasserspiegel im Winter etwas höher und im Sommer etwas niedriger ist. Die Schwankung kann +/- einen halben Zentimeter betragen, so dass der Wasserspiegel im Sommer 1,565 m und im Winter 1,575 m beträgt. Das bedeutet, dass die tägliche Veränderung des Wasserspiegels im Frühjahr und Frühsommer maximal -0,1 mm (das entspricht 100 µm) pro Tag und im Herbst und Frühwinter + 0,1 mm betragen kann.


Vor etwa 200 Jahren hat jemand einen zweiten Zufluss installiert, der im Laufe der Zeit zunahm und dem Becken heute etwa 10 m3 Wasser pro Jahr zusätzlich zuführt. Dadurch hat sich auch der Abfluss verändert, etwa 5,7 m3 des zusätzlichen Zuflusses fließen ab, aber 4,3 m3 bleiben im Becken. Das zusätzliche Wasser hat bereits zu einem Anstieg um 64 cm auf einen tatsächlichen Wasserspiegel von 2,21 m geführt. Derzeit steigt der Wasserspiegel jedes Jahr um 11 mm, im Durchschnitt sind dies 30 µm pro Tag, an. Dies ist der Durchmesser eines sehr dünnen Haares.


Die Covid-19-bezogene Ausgangssperre hat nun den zusätzlichen Nettozufluss von 4,3 auf 3,8 m3 pro Jahr bzw. den täglichen Anstieg von 32 auf 28 µm reduziert. Dies ist der Unterschied zwischen einem sehr dünnen Haar und einem noch dünneren Haar. Er summiert sich jedoch mit der Zeit und nimmt mit der Dauer der Ausgangssperre zu.

Wir können also folgendes feststellen: Die durch Covid-19 verursachte Ausgangssperre hat fast keinen dämpfenden Einfluss auf den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre. Die Situation ist immer noch schlecht, etwas weniger brenzlig, aber nicht wirklich besser - mehr dazu am Ende dieses Artikels. Aber nun erstmal zu der wichtigen Frage, die uns während der Pandemie schon mehrmals gestellt wurde: Können wir Veränderungen, die durch die globale Ausgangssperre entstanden sind, in der Atmosphäre erkennen?

Der globale Kohlenstoffkreislauf funktioniert nicht wie ein einfaches Uhrwerk

Die Antwort lautet, wie sehr oft in der Wissenschaft: „Theoretisch ja“. Wir könnten die Veränderungen einfach im Unterschied zwischen den beiden Kurven in Abb. 4 erkennen. Unsere Instrumente messen genau genug, um ihn ablesen zu können. Praktisch gibt es jedoch einige Probleme, welche eine solche Analyse äußerst kompliziert und schwierig gestalten.

  1. Wir messen nur eine Kurve. Wir führen, so wie wir es eigentlich als Wissenschaftler tun müssten, kein kontrolliertes Experiment mit zwei Planeten durch, bei dem es auf dem einen eine globale Ausgangssperre gibt und auf dem anderen nicht. Wir haben nur die rote Kurve in Abbildung 4, und wir müssen diese Kurve entweder mit einer künstlichen (modellierten) blauen Kurve oder mit Ergebnissen früherer Jahre in Beziehung setzen. Beide Möglichkeiten bieten Anlass zur Kritik. Eine fiktive blaue Kurve würde nicht auf präzisen Messungen basieren und könnte daher völlig zu Recht angezweifelt werden. Und würden wir die rote Kurve mit Messungen früherer Jahre vergleichen, haben wir schon direkt unser nächstes Problem.

  2. Der globale Kohlenstoffkreislauf funktioniert nicht wie ein einfaches Uhrwerk. In Abbildung 1 sehen wir die regelmäßigen Schwankungen des Wasserspiegels (der Kohlendioxidkonzentration) im atmosphärischen Schwimmbecken. Die Abbildung ist aber idealisiert, denn das Wetter besitzt diese Regelmäßigkeit nicht. Über die Jahre können wir mal einen warmen Winter oder einen frühen Frühling erleben, dafür aber im nächsten Jahr einen späten Frühling haben. Außerdem kann es nasse oder trockene Sommer, sowie warme oder kalte Herbste geben.


Die Kombination der Probleme, welche zuvor diskutiert wurden, nämlich, dass wir keinen zweiten Planeten und damit die blaue Kurve nicht haben und dass die Zu- und Abflüsse des "atmosphärischen Schwimmbeckens" von Jahr zu Jahr variieren, führt uns nun zu einer neuen Ansatz: um das Signal der Ausgangssperre in der Analyse erkennen zu können, müssen wir das Jahr 5 mit der globalen Ausgangssperre direkt mit den anderen Jahren vergleichen.
 

Zusätzlich zu den bereits diskutierten Problemen, offenbart sich noch eine dritte Schwierigkeit, die berücksichtigen müssen: der Wind.

    3.   Wir stellen uns nun vor, dass sich das Schwimmbecken, von dem wir zuvor
          sprachen, in einem Freibad befindet. Dann würde der Wind Wellen
          verursachen. Diese Wellen können eine Amplitude von mehreren Zenti-
          metern haben und die Messungen des Wasserspiegels stark stören.

Deshalb hier ein zusammenfassendes Zwischenergebnis: Es ist unmöglich, in einem großen Schwimmbecken mit wechselndem Wasserspiegel und Wellen, ein dünnes Haar zu finden.

Die Lösung liegt in den Wellen des atmosphärischen Schwimmbeckens

Wir wären jedoch keine Wissenschaftler, wenn wir hier aufgeben würden. Und es gibt in der Tat einen besseren Ansatz, als einfach nach der durchschnittlichen CO2-Konzentration zu suchen. Tatsächlich liegt die Antwort auf unsere Frage in den Wellen. Um dies zu erklären, werden wir in Kürze von der Analogie des Wasserspiegels im „atmosphärischen Schwimmbeckens“ zu den realen CO2-Messungen in der Atmosphäre wechseln, die das europäische Integrierte Kohlenstoff-Beobachtungssystem (ICOS) seit Jahren systematisch durchführt. Wir verweilen jedoch noch einen kurzen Moment im Schwimmbad und stellen wir uns vor, dass der Zufluss nicht nur an einer Stelle des Schwimmbeckens stattfindet, sondern sich über das ganze Becken verteilt. In einer solchen Situation könnten die Wellen die Information des nahegelegenen Zuflusses tragen, wenn sie konstant und über einen längeren Zeitraum gemessen werden.

Nun wenden wir uns den atmosphärischen Messungen zu und schauen uns die atmosphärische CO2-Konzentration an einer ICOS-Station, dem atmosphärischen Messturm bei Gartow in Deutschland, genauer an. Wie alle ICOS-Stationen ist er glücklicherweise in Betrieb, um die Atmosphäre während der Ausgangssperre zu beobachten. Die Konzentration wird in „parts per Million CO2“, ppm, gemessen, das ist ein Millionstel Volumenanteil. Wir können ein Auf und Ab der Konzentration erkennen, das durch den Wind verursacht wird, der – je nach Wetterlage – die Luftmassen aus verschiedenen Gebieten in der Umgebung zum Turm transportiert. Wir können grundsätzlich eine Abnahme der Werte im Frühjahr und Sommer und eine Zunahme im Herbst und Winter erkennen. Und wir können die kurzzeitigen Schwankungen sehen, die durch den Wind verursacht werden, mit dem Luft aus Gebieten mit unterschiedlich hohen Emissionen herangeweht werden. Wir nennen diese Gebiete „Fußabdrücke“, und für jeden Zeitpunkt können wir das Gebiet des Fußabdrucks berechnen. Es kann eine Stadt mit hohen Emissionen sein oder ein eher ländliches Gebiet mit niedrigen. Der die Lage des Fußabdrucks erzeugt also entweder eine hohe oder niedrige CO2-Konzentration in den Messungen. Auf den ersten Blick ist die Variation in den letzten Wochen kleiner geworden. Dies könnte zwei Gründe haben: Entweder bringt der Wind nur Luftmassen aus Gebieten mit geringen Schwankungen mit, oder er trägt die Information geringerer Emissionen. Dies erfordert gründliche statistische Analysen, die bisher noch nicht durchgeführt wurden. Wir sind jedoch sicher, dass der Abdruck der Covid-19 bedingten Ausgangssperre in der Variation der atmosphärischen CO2-Konzentrationen zu finden ist.

Wer findet das Haar im atmosphärischen Schwimmbecken zuerst?

Jetzt, in genau diesem Moment, messen 22 Türme in ganz Europa atmosphärische Daten. Diese sind öffentlich zugänglich und werden online nahezu in Echtzeit zur Verfügung gestellt. Wir wollen Wissenschaftler auf der ganzen Welt ermutigen diese Daten zu analysieren und das Haar im atmosphärischen Schwimmbecken zu finden. Auf Sie wartet nicht nur ein Platz in der Ruhmeshalle der Klimaforschung, sondern auch die Möglichkeit eine hochrangige Publikation veröffentlichen zu können, sowie einen Vortrag auf der nächsten ICOS-Wissenschaftskonferenz. Um die Forschung auf diesem Gebiet zu unterstützen, bieten wir neben dem freien Zugang zu den Daten Rechenkapazitäten des ICOS-Kohlenstoffportals und Diskussionen mit WissenschaftlerInnen an. Das Rennen ist eröffnet. Auf geht’s; kontaktieren Sie uns für weitere Informationen unter: covid19.co2study@icos-ri.eu. Wir hoffen auf interessante statistische Ansätze oder innovative neue Ideen in der Datenanalyse.

Zum Abschluss dieses Artikels wollen wir noch einmal auf die Schwimmbecken-Analogie zurückkommen, denn wir haben einen Traum. Unser Traum ist es, dass die Milliarden Euro und Dollar, die jetzt zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung locker gemacht werden, klug eingesetzt werden, um den Veränderungsprozess unserer Gesellschaften zu weniger Emissionen anzukurbeln.

#flattentheCO2curve

Um diesen Traum zu visualisieren, haben wir unsere Simulation angepasst: Das Jahr, welches durch die Covid-19 bedingte Ausgangssperre stark beeinflusst wurde, ist dort nun zum Ausgangspunkt eines (in der Zukunft liegenden) Fünfjahreszeitraums geworden. Die folgenden vier Jahre sind durch einen schrittweisen Rückgang der anthropogenen CO2-Emissionen gekennzeichnet. Alle drei Monate, reduziert sich der tägliche Anstieg um 1 µm. Das Haar wird immer dünner, und am Ende des Zeitraums beträgt es nur noch 12 statt 32 µm, weil die anthropogenen Emissionen weniger als die Hälfte des Wertes von 2019 betragen. Die Gesellschaft hat die Technologien, Ressourcen und auch das Geld, um diese Ziele umzusetzen und den Klimawandel zu bremsen. Das Ergebnis einer klugen Lenkung der eingesetzten Gelder würde so aussehen, wie in Abbildung 12 dargestellt:

Die Kurve, die den Wasserspiegel des "atmosphärischen Schwimmbeckens", also die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, beschreibt, würde erheblich langsamer steigen und könnte sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sogar umdrehen und fallen. Wir stehen vor einer historischen Chance, nicht nur für unsere, sondern auch für künftige Generationen. Covid-19 hat uns gezeigt, wie schnell Entscheidungen auf politischer Ebene getroffen werden können, wenn alle, mit dem demselben Ziel vor Augen, an einem Strang ziehen. Das politische Ziel der letzten Wochen war, die virusbedingten Todeszahlen so gering wie möglich zu halten. #Flattenthecurve hieß es. Diese Maßnahmen hatten auch Auswirkungen auf die exponentiell ansteigende Kurve des Treibhausgases CO2, wenn auch nur geringe. In ein paar Jahrzehnten werden die Geschichtsbücher bewerten, ob Staatsfrauen und -männer und WirtschaftslenkerInnen in dieser historischen Situation nur eine oder beide Kurven abflachten. Wir werden weiter beobachten und forschen um ihre Arbeit zu dokumentieren: #flattentheCO2curve!

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